13 - Von Lima bis Cusco     September 2009

Bequem fahren wir im 180° Cama Excluciva Nachtbus in Lima ein und kommen zum ersten Mal auf unserer langen Reise in eine Millionen Stadt. Wie in einem Ameisenhaufen wuseln Menschenmengen, Taxis und Busse rufend und hupend chaotisch durcheinander. Entgegen unserer Erwartung gefällt uns Lima mit all seinen Gegensätzen sehr, von der Altstadt mit den kolonialistischen Palästen und Kathedralen, vielen charmanten Beizchen und leicht heruntergekommenen Häuserfassaden mit schmalen Holzbalkonen bis zum modernen Miraflores mit mondänen Hotelbauten, teuren und protzigen Einkaufsmeilen, Spielcasinos à la Las Vegas und vielen Schickimicki Bars.

Hier geniessen wir die Infrastruktur einer Grossstadt: unsere Zähne werden auf Hochglanz poliert, Löcher geflickt und es reicht sogar für eine Wurzelbehandlung mit Porzellankrone, Haare werden frisch getönt, im La Tiendecita Blanca (Café Suisse) gibt es einen Wurst-Käse Salat mit Cervelat und Emmentaler und wir kommen in den Genuss eines grossartigen klassischen Konzertes mit dem Guarneri Trio aus Prag. Das erste Mal in unserem Leben müssen wir auf eine Schweizer Botschaft (um eine Unterschrift beglaubigen zu lassen) und – oh Freude! – von den Wänden lachen uns Matterhörner und Davoser Hotels an, es liegen unter anderem NZZ, Weltwoche und Coop Zeitung auf und wir lesen in der Schweizer Illustrierten, wie neunzig prominente Schweizer dem neunzig jährigen Ferdi Kübler zum Geburtstag ihre Fragen stellen... Das kann selbst uns nicht kalt lassen und wir wischen uns diskret ein Tränchen von der Wange.

Wir haben grosses Glück und ergattern zwei Zugsbillette für die nur zwei wöchentlich fahrende Eisenbahn nach Huancayo. Die Fahrt geht von Meereshöhe über einen Pass von 4'781 m.ü.M. und ist somit die höchste historische Eisenbahnstrecke (hier mokiert man sich über die Chinesen, die vor kurzem mit viel Geld eine noch höhere gebaut haben). Einen grossen Teil der wunderschönen Reise geniessen wir vom Winde verweht im offenen Barwagen, allerdings je höher, desto Kleider! Ganz oben angekommen versuchen wir einige Schritte zu gehen, die dünne Luft bringt unseren Kreislauf an den Anschlag und Sandra päppelt den kollabierenden Jost wieder liebevoll auf.

Nach ein paar Tagen in Huancayo reisen wir per Bus durch tiefe Täler und über steile Berghänge weiter nach Ayacucho. Bei der halsbrecherischen Fahrt auf schmalsten Schotterpisten an senkrechten Felswänden und mit engen Haarnadelkurven wischen wir und unsere einheimischen Mitreisenden den kalten Schweiss von der Stirn. Ayacucho auf 2'750m Höhe ist bekannt für ihr ganzjähriges, trockenes und warmes Klima und dies kosten wir bei einigen Spaziergängen auf die nahe gelegenen Hügel aus. In der Stadt selber werden wir von stinkenden, schwarzen Abgaswolken aus alten Bussen, Camions und Mototaxis eingenebelt, so wie wir es in Peru noch nie erlebt haben. Entschädigt werden wir mit einem verlockenden Duft von frisch gebackenem Brot, der durch die Fussgängerzonen zieht, so wie wir es in Peru noch nie erlebt haben.

Für uns ist es schwer vorstellbar, dass hier noch vor kurzem (80er und 90er Jahre) die Terrororganisation Sendero Luminoso und das Militär wüteten und das Bereisen dieser friedlichen und malerischen Gegend praktisch unmöglich war. Auch jetzt noch suchen viele Familien ihre damals verschleppten und bis heute vermissten Angehörigen.

Da wir uns langsam aber sicher der kulturellen Hochburg der Inkas nähern, stimmen wir uns bereits hier mit archäologischen Stätten der Waris ein. Dieses Volk lebte einige Zeit vor den Inkas (von 600 bis 1'100 n. Chr.) in dieser Gegend. Wir bestaunen die präzis bearbeiteten Wasserleitungen aus Vulkansteinen, einen 4-stöckigen Friedhof und viel Kunsthandwerk, sowie Schädel mit Spuren von anspruchsvollen Operationen (wobei nichts über den Zustand des Patienten danach bekannt ist).

Nach einer Übernachtung mit rekordverdächtigem Tiefstpreis (25 Soles = 9 SFr für ein Doppelzimmer mit eigener Dusche, WC und Kabelfernsehen) in Andahuaylas geht es weiter nach Cusco. Da die Strassen meistens sehr holprig sind, funktioniert das Abspielen von DVDs (für uns glücklicherweise) nicht immer, dafür steigt in jeder Busfahrt ein "Medicus" ein, der im Wettstreit mit dem Motorenlärm lauthals und ausführlich über die schlechten Essgewohnheiten mit zuviel Fett, Zucker und Alkohol und deren Folgeerscheinungen wie Müdigkeit, Jähzorn und schlaffem Sexualleben spricht. Hinzu kommt ein Diskurs über allerlei Geschlechtskrankheiten und Hygiene im Allgemeinen, alles mit schön bunten medizinischen Bildtafeln illustriert. Und als Höhepunkt packt er aus seinem grossen Koffer ein Heilmittel aus, das sowohl den Magen reinigt, als auch die Potenz steigert und wir im Promotionspacket 3 für 2 so günstig wie noch nie erstehen können. Interessanterweise wird in jedem Bus eine andere "Medizin" verkauft.

Cusco, die einstige Perle der Inkas, packt uns auf Anhieb. Fasziniert spazieren wir durch die geschichtsträchtigen Gassen in denen die restlichen, massiven Grundmauern aus der Inkazeit mit den spanischen Prunkbauten aufeinanderprallen.

Bevölkert wird das Zentrum von Cusco zur einen Hälfte aus Touristen und zur anderen Hälfte aus Souvenirverkäufern. Das tägliche Spiessrutenlaufen durch Anbieter von Sonnenbrillen, Ponchos, gestrickten Andenkäppis und Socken, "selbst" gemalten Bildern, Schmuck, Schmuck und nochmals Schmuck, farbig gewobenen Decken und natürlich den obligaten Tourenanbietern meistern wir gekonnt und möglichst nett mit x-fachem "¡No gracias!".

Zur positiven Seite des extremen Tourismus gehört die vielfältige, internationale Küche, die wir schamlos ausnützen und so geniessen wir eine besonders leckere Pizza, ein Fondue Chinoise, essen indisches Lammcurry und Jost trinkt im Irish Pub sein geliebtes Guinness.

Besonders gerne sitzen wir auch auf einem der kleinen offenen Balkone der vielen Beizchen und beobachten das Treiben unten auf dem Plaza de Armas. Speziell spannend ist es, wenn die "Sittenwächter" aufkreuzen und mit ihren Trillerpfeifen die sündigen Leute zurechtweisen, so wird das Betreten des Rasens oder das Anhalten eines Fahrzeuges sofort gerügt, aber meistens ist uns unerklärlich weshalb gepfiffen und gewunken wird. So wird übrigens in jedem grösseren Ort in Peru versucht für Ruhe und Ordnung zu sorgen und der etwas arrogante Trillerpfeifenpfiff gehört zur alltäglichen Geräuschkulisse.

Uns zieht es noch höher hinaus und so fahren wir mit einem Mietauto zum Fusse des Ausangate (6'384 m.ü.M.), der höchste Berg im Süden Perus. Ganz alleine und überglücklich wandern wir in der kargen Gegend über Stock und Stein, d.h. fast alleine, denn immer wieder treffen wir auf Alpaca-Herden (die herzigen Schafe mit den langen Hälsen und dünnen Beinchen) die erstaunlicherweise nur vom trockenen und kurz gewachsenen Puna-Gras leben. Ab und zu sehen wir auch von weitem farbig gekleidete Bäuerinnen, die mit ihren riesigen Bündeln auf dem Rücken den steilen Hang hinauf klettern. Die ganze Zeit werden wir begleitet vom strahlend weissen Schneegipfel des Ausangate.

Mit einem Auto nur zu zweit unterwegs werden wir automatisch zum Taxi. Da stehen z.B. ein 7- und ein 11-jähriges Mädchen mutterseelenalleine am Strassenrand, die wir auf dem weiten Weg zur Schule mitnehmen. Ein anderes Mal kommen drei Frauen mit ihren bunten, faltenreichen und mehrschichtigen Röcken mit Sack, Pack und Säugling voll gepackt vom Markt und quetschen sich auf unseren Rücksitz. Und immer wieder nehmen wir Leute mit, die kilometerlange Wege vor sich haben. Alle sind unglaublich glücklich und dankbar, dass sie mitfahren durften, einige fragen uns nach dem Fahrpreis und wenn wir den Kopf schütteln, leuchten ihre Augen noch mehr und sie verabschieden sich mit mehreren "¡Muchisima gracias!".

Cusco und Umgebung lebt von den unzähligen Ruinen die vom gewaltigen Imperium der Inkas zeugen. Auch wir besuchen viele dieser Orte (Saqsaywaman, Q'enqo, Puka Pukara, Tambomachay, Tipón, Chinchero, Moray, Ollantaytambo und Pisaq) die wir von Bildern und Prospekten bereits kennen. Aber jetzt, wo wir direkt vor diesen berühmten Mauern mit exakt aufeinander passenden, puzzelartig aufgeschichteten Steinen oder den schier endlosen Terrassierungen der Gartenanlagen stehen, verschlägt es uns den Atem und wir sind zutiefst beeindruckt von dieser grossartigen Steinmetzkunst.

Besonders interessant finden wir das Amphitheater ähnliche Moray, vermutlich eine Versuchsanlage für den Gartenbau. Durch die in sich geschützten Terrassen auf verschiedenen Höhen sollten unterschiedliche klimatische Verhältnisse simuliert werden, z.B. um neue Maissorten zu Züchten.

Auf Anraten einer Autostopperin machen wir noch einen Abstecher in die Salineras de Maras. Nichts ahnend landen wir in einem schmalen Nebental und werden von einer immensen Anlage mit hunderten von salzüberkrusteten Becken überrascht. Wie in einem Märchenland wandern wir durch die surreale Landschaft und können uns fast nicht mehr von ihr lösen. Wir staunen über die kleine Quelle, mit der die ganze Anlage über ein ausgeklügeltes und filigranes Kanalsystem bewässert wird. Und wo, oh Wunder, haben wir schon mal gesehen, dass Salzwasser aus einem Berg fliesst?

Cusco ohne Machu Picchu ist wie Paris ohne Eiffelturm oder Ägypten ohne Pyramiden. Und so sehen auch wir Machu Picchu viel und oft, allerdings nur zweidimensional und auf Hochglanzpapier.

Genug der Steine und Geschichte, wir müssen und wollen weiter, denn auf uns wartet noch der Lago Titicaca. Und welch Glück, eine weitere tolle Eisenbahnstrecke führt von Cusco nach Puno. Vier Mal pro Woche fährt ein Zug dorthin, aber mit grosser Ernüchterung müssen wir feststellen, dass es "nur" ein Luxus-Orient-Express für 220 US-Dollar pro Person ist! Und das ist selbst uns "reichen" Schweizern des Guten zuviel und so erstehen wir zwei Panoramaplätze zuvorderst in einem doppelstöckigen Bus für bescheidene 30 Soles pro Person. 

© 2009 dos en camino :: cms: netzton