Wir entscheiden uns für eine "leichte" Reise und lassen die grossen Tramper-Rucksäcke, sowie die warmen Kleider und Schlafsäcke in unserem Hotel Buena Vista in Máncora zurück. So haben wir eine gute Entschuldigung um nach unserem kleinen "Ausflug" nochmals dem Strandleben zu frönen :-)
Reise in den Amazonas Den weiten Weg fahren wir in jeweils 6-stündigen Busfahrten von Máncora über Chiclayo, Jaén, Moyobamba nach Yurimaguas. In jedem Ort bleiben wir mindestens 2 Nächte und gewöhnen uns auf angenehme Weise an die langsame Veränderung des Klimas und der Vegetation. Vom Strand und der Wüste kommend überqueren wir die Anden und es wird immer grüner, üppiger, heisser und feuchter.
So verbringen wir einige Zeit im Bus und auch in Peru sind diese Fahrten ein unvergleichliches Erlebnis. Ein wesentlicher Teil dabei ist das Abspielen von Filmen, meist brutale Horror- oder Ballerfilme, und deshalb fahren wir in einer lauten Geräuschkulisse von krachenden Knochen, schmerzvollen Schreien, Geratter von Maschinengewehren und unendlichen Explosionen durch wunderschöne Landschaften. Wir erleben drei Ausnahmen:
- einmal wird der Trickfilm "Ice Age 3" gezeigt, eine illegale Kopie, in der alle Kommentare und Lacher des Kinopublikums zu hören sind
- ein anderes Mal läuft ein spanischer Spielfilm über eine wahre Begebenheit zur Zeit Francos. Dieser wird allerdings nach einer Stunde ausgewechselt, da mehr gesprochen als geschossen wurde
- oder es dröhnt einfach ein Musikvideo.
- da ertönt ein lauter Knall, es wird plötzlich hell, alle ducken sich und schauen verängstigt nach oben und stellen verdutzt fest, dass die Dachluke vom Fahrtwind herausgerissen wurde
- da ertönt ein lauter Knall, Sandra schaut zum Fenster hinaus, sieht die geöffnete Gepäcktüre und die davonfliegenden Kisten, Taschen und Kübel, schreiend stoppen wir den Bus
- da ertönt ein lauter Knall und ein Schrei (dieses Mal nicht von der Leinwand), die Seitentüre hat sich von selbst geöffnet und der dort angelehnte Passagier hält sich verzweifelt daran fest
- und natürlich bieten die Pässe über die Anden mit den kurvenreichen Strassen die Gelegenheit Plastiksäckchen zu verteilen, die dann von Gross und Klein um die Wette gefüllt werden. Glücklich ist wer an einem Fenster sitzt, aber Vorsicht beim Frischluftholen, der Vordermann könnte sein Fenster anstelle des Säckchens benutzen.
Hier ist die Strasse nun definitiv zu Ende und am Hafen suchen wir ein Schiff nach Iquitos. Wir haben Glück, das Fracht- und Passagierschiff "Eduardo VIII" läuft schon morgen aus und wir dürfen bereits heute in unseren Hängematten auf dem noch verlassenen 2. Deck schlafen. Nach einem halben Jahr ohne gesundheitliche Probleme wird Jost nun von Montezumas Rache erwischt. Die Gänge zum WC werden schneller und häufiger. Schwester Sandra päppelt den Kranken mit Tee und Pillen wieder auf.
Stundenlang hängen wir an der Reling und beobachten staunend wie das Schiff ent- und beladen wird. Wie Ameisen laufen die schwer beladenen Arbeiter von den Lastwagen über die schmalen, schwankenden Holzplanken in die Lagerräume des Schiffes, 1-2 Salz- und Reisssäcke (je 50kg), 3-4 Kisten mit je 360 Eiern, Netze voller Papayas, 3-4 Pakete mit Keramik-Kacheln (je 25kg), grosse tropfende Eisblöcke, lange Holzbretter und riesige Metallplatten werden auf den schweissnassen Schultern getragen. Die Suva lässt grüssen! Sogar ein Auto und ein Mototaxi werden über die Holzplanken eingeladen und in einem Gehege finden 5 Rinder und 4 Schweine ihren Platz.
Wir merken bald, dieser Vorgang dauert länger als geplant und aus der Abfahrt von morgen wird übermorgen. Das Schiff füllt sich immer mehr, die Hängematten hängen immer dichter, die Geräusche und Düfte werden intensiver und es wird Zeit zum Ablegen. Da der Rio Huallaga zurzeit sehr wenig Wasser hat, fährt uns ein Motorboot mit einem Lotse voraus, der mit einer Holzstange den Wasserstand prüft und so kommen wir nur langsam vorwärts. Bei einer besonders kritischen Stelle bestellt der Kapitän sogar ein zweites Frachtschiff damit unsere Ladung und die Passagiere aufgeteilt werden können. Nach einiger Wartezeit und langwierigen Umladeprozeduren fahren wir im Dunkeln weiter. Aber trotz allem bleibt die immer noch übergewichtige "Eduardo VIII" in einer Sandbank stecken. Mit brachialen Mitteln versucht das andere Frachtschiff uns in voller Geschwindigkeit mit Stahlseilen herauszuziehen. Die Funken sprühen und die dicken Seile werden durchgescheuert. Nach Stunden gelingt die Aktion, wir kommen in tiefere Gewässer und unsere Fracht wird wieder zurück geladen.
Immer wieder laufen wir einsame kleine Siedlungen an und jedes Mal wiederholt sich die schleppende Ent- und Beladungszeremonie. Wir verspäten uns mehr und mehr und die Leute mit im Voraus gebuchten Arrangements werden zusehends nervöser.
Iquitos Nach 5 Tagen Schiffsleben erreichen wir unser Ziel, die grösste Stadt der Welt, die nur per Schiff oder Flugzeug erreicht werden kann. Wir erliegen dem Charme des einst mondänen Zentrums der Kautschukgewinnung und dessen Überreste aus glanzvollen Zeiten. Trotz der schwülen Hitze mit über 80% Luftfeuchtigkeit herrscht hier ein lebendiges Treiben, unterstützt von den allgegenwärtigen und lärmenden Mototaxis. Begeistert sind wir vom Markt, hier treffen wir auf exotische und unbekannte Dinge. Brujos, so genannte Hexer und Naturheiler, bieten ihre Ware an die von getrockneter Kamille über halluzinogene Kakteen, bunte Pülverchen, Wässerchen mit eingelegten Viechern, Affenschädel, bis zu allerlei Amuletten reichen. Besonders exklusiv ist die kulinarische Palette. Nebst einer grossen Gemüse-, Fleisch- und Fischvielfalt gibt es frische Schildkröten, mit und ohne Panzer und deren begehrte Eier und in einem Becken winden sich dicke, weisse Maden (Suri), die schön aufgereiht auf Holzspiessen über einem Grill geröstet werden.
Uns packt die Abenteuerlust (wenn schon Amazonas, dann richtig) und wir verschwinden für 5 Tage im Regenwald. An einem Nebenfluss des Rio Amazonas befindet sich unser Basis Camp, der Ausgangspunkt für die Tour. Unser Guide und sein junger Gehilfen rudern uns am nächsten Tag noch tiefer in den Wald und wir finden unser Lager an einer kleinen Lagune. Die Hängematten und Moskitonetze werden zwischen die Bäume gespannt, darüber kommt ein Plastikdach und schon haben wir unser Schlafzimmer für zwei Nächte. Ein Feuer wird entfacht und wir werden köstlich bekocht, Öllämpchen werden angezündet, die Lagerstimmung wäre perfekt... Aber da sind ja noch die Schwärme von blutsaugenden und äussert aggressiven Moskitos, die wie Vampire über uns herfallen. In Ruhe zu Sitzen und die Gabel vom Teller zum Mund zu führen ist schlichtweg unmöglich.
Aber die Erkundungstouren in den Urwald entschädigen uns für die Plage. Frühmorgens bis in die Nacht hinein sind wir zu Fuss oder per Boot unterwegs und beobachten mit Feldstecher oder Taschenlampe Flora und Fauna. Alles Gesehene aufzuzählen ist unmöglich, aber zu den Höhepunkten zählen all die bizarren, uns unbekannten Insekten, das kurzfristig gefangene Kaiman-Baby, das Entdecken der langgesuchten Vogelspinnen, die winzigen auf den Bäumen herumturnenden und sich lausenden Zwergseidenäffchen oder die hoch aus dem Wasser springenden Flussdelfine. Zurück in unserem Lager kriechen wir müde in unsere sicheren Moskitonetze und lauschen dem gewaltigen Urwaldkonzert das von überall her summt, surrt, quakt, pfeift, heult, kreischt und raschelt.
Wieder im Basis Camp erwischt Montezumas Rache nun auch Sandra. Die Gänge zum Plumpsklo werden schneller und häufiger. Pfleger Jost päppelt die Kranke mit Tee und Pillen auf und der Guide bringt Medizin direkt aus dem Regenwald: Ein Glas roter Rindensaft, der schrecklich bitter schmeckt, aber Wunder wirken soll.
"Heimreise" In Iquitos erholen wir uns noch ein paar Tage von den Urwaldstrapazen, doch langsam denken wir an die Rückreise nach Máncora. Wir suchen im Hafen nach einem geeigneten Schiff nach Pucallpa. Die Baylon II gefällt uns, sie fährt aber erst in zwei Tagen los. Aber als wir dann mit Sack und Pack auf dem Schiff eintreffen, wird uns mitgeteilt, dass das Laden nochmals zwei Tage länger dauert... Kurz entschlossen entscheiden wir uns für einen Flug, den ersten auf unserer Reise und sitzen bereits einen Tag später in einer 18-plätzigen Propellermaschine. Und so sehen wir unsere Hinreise per Schiff auch noch von oben und blicken fasziniert auf die sich durch den dicken Urwald schlängelnden Flüsse.
In Tarapoto sicher gelandet gehen wir den weiteren Rückweg gemütlich an und reisen via Chachapoyas, Celendín, Cajamarca, Chiclayo wieder nach Máncora. Den kulturellen Teil bestreiten wir in Chachapoyas und besuchen die auf einem Berg gelegene Festung Kuélap. Noch heute ist unklar wofür der gigantische, ab 800 n. Chr. erstellte Bau diente, aber nur schon die wuchtigen Mauern (bis 20m hoch und 8m dick) imponieren uns. Nach 3-stündigem Wandern durch die Ruinenstadt wagt sich unser Hunger endlich an die vielerorts beliebte Spezialität Cuy. Nach einigen hilflosen Versuchen mit Messer und Gabel werden wir von Einheimischen darauf hingewiesen, dass das Meerschweinchen von Hand gegessen wird. Und so kämpfen wir mit blossen Händen um das wenige Fleisch an den vielen, feinen Knöchelchen.
Zurück in Máncora stellen wir fest, dass das Meer auch während unserer Abwesenheit sehr aktiv war. Der Sandstrand ist nochmals um einige Meter geschrumpft, vom Malecón steht nun gar nichts mehr und die Mauern des Nachbarhotels werden auch schon unterspült. Nichtsdestotrotz freuen wir uns, wieder hier zu sein.