2 - Cap Vilano     Februar - März 2009

Hamburg, Dienstag, 10. Februar 2009, 8:00 Uhr, erster Blick aus dem Fenster Richtung Reeperbahn: waagrechter Schneesturm, St. Pauli ganz in weiss. Wie kommen wir nur mit unseren sieben noch trockenen Sachen aufs Schiff? Natürlich mit einem Taxi, Marke Mercedes, und einem währschaften Hamburger Chauffeur, der uns in aller Länge und Breite aufklärt, was wir hier alles hätten sehen müssen. Schon kurze Zeit später stehen die zwei "Auswanderer" ziemlich unsicher (wie kommt mann/frau bloss in ein Containerschiff rein?) vor "ihrer" Cap Vilano, auf der sie sich aber schon Tage später wie Zuhause fühlen und auch bewegen.

Die Befürchtungen einiger Daheimgebliebener von wegen Langeweile und Hochseekoller haben sich überhaupt nicht bewahrheitet, im Gegenteil: die vier Wochen vergingen wie im Flug und für uns viel zu schnell. Der Hochseezauber hielt uns in Bann, vom Geschehen der restlichen Welt wurden wir für einen Monat verschont.

Ein Tag im Leben von   Unser Alltag auf hoher See sieht in etwa folgendermassen aus... Nach einer mehr oder weniger durchgeschüttelten Nacht klingelt der Wecker um ca. 7:00 Uhr. Zwischen 7:30 und 8:00 finden wir uns in der Offiziersmesse (1. Deck) zur ersten warmen Mahlzeit ein, Spiegeleier mit Speck, Rührei mit Crevetten, Omeletten mit Corned Beef oder sonntags Spezial Pancake mit sehr reichlich Himbeermarmelade. Jetzt folgt der Gang zur Brücke (6.Deck) zwecks Positionsüberprüfung. Um das reichhaltige Frühstück zu verdauen machen wir einen 200m Spaziergang Richtung Bug. Dort erwartet uns der schönste und ruhigste Ort auf dem Schiff. Inmitten von gewaltigen Rollen mit dicken Tauen und Ankerketten haben wir einen wunderschönen Blick auf den weiten Horizont des Ozeans und geniessen das pure Rauschen des Meeres. Je nach Gegend oder Wetterlage beobachten wir mehr oder weniger Getiere: verschiedenste Arten von Vögeln (auch Pelikane), die in akrobatischem Steilflug auf Jagd gehen - fliegende Fische, die bis zu 100m weit knapp über dem Wasser davon fliegen - mit etwas Glück springende Delphine und sich auf dem Rücken sonnende Robben - und ganz selten, so quasi als Tüpfelchen aufs i, ein Wal oder zumindest seine Fontäne.

Bereits ruft das Mittagessen, es ist 12:00 Uhr. Die üppigste Mahlzeit des Tages besteht aus einer Suppe, einem Hauptgang (Fleisch oder Fisch, dazu meistens Kartoffeln) und als Dessert eine Frucht. Mit diesem vollen Magen ist eine Verdauungs-Siesta angesagt. Wir packen unseren kleinen Rucksack mit Buch, Bier, Sonnencreme und Brille und legen uns auf dem beim Pool (2. Deck) auf einen Liegestuhl. Damit unser schlechtes Gewissen nicht überhand nimmt, vertiefen wir uns zwischendurch - ganz kurz - in spanische Verben und Wörtchen. Bei allzu grosser Hitze steigen wir ab und zu ins kühle Meerwasser im Pool oder steigen in unsere Kabine (4. Deck) und holen aus dem Kühlschrank (Eisfach) zwei weitere frische Biere. Zweiteres ist nicht zu unterschätzen, da die Treppen sehr steil sind und je nach Wellengang noch steiler werden.

Bereits ist es 17:30 Uhr, die Pflicht ruft: das Abendessen besteht aus einem Hauptgang (Fleisch oder Fisch, dazu meistens Kartoffeln). Jetzt folgt der Gang zur Brücke zwecks Positionsüberprüfung und andächtiger Besichtigung des Sonnenunterganges. Um das Ganze zu Verdauen genehmigen wir uns einen so genannten "Sundowner" in Form von Unicum, Rum, Brandy und/oder Whisky. Den Tag beschliessen wir gemütlich in unserer Kabine bei einem Glas Wein und einem Spiel für Zwei (Karten oder so...). Später im Bett schlafen wir bald ein, entweder gut durchgerüttelt wie in einem Nachtzug oder sanft eingewiegelt wie in einer Krippe. Oder wir drücken kaum ein Auge zu, da wir heftig von einer Bettkante zur andern geworfen werden.

Unsere "Mitreisenden"   Für die Besatzung des Schiffes sah der Alltag natürlich ein wenig anders aus. Die drei Offiziere haben ihre 4 Stunden Wache zuoberst auf dem Schiff, auf der Brücke mit Musik ab CD. Währenddessen erledigen die Engineers ihre Arbeit zuunterst, im Maschinenraum, 3 Decks untertags und begleitet von enormem Motorenlärm. Diese Kaderstellen sind hauptsächlich von Russen oder Ukrainern besetzt. Die Mannschaft besteht aus Philippinos. Während der Überfahrt warten sie das Schiff, putzen und schrubben, malen und schweissen oder füllen uns den Pool mit frischem Meerwasser. Die wichtigste Person ist der Koch, der auf alle Sonderwünsche und kulturellen Eigenheiten eingehen muss. Der 1. Engineer isst nur Kartoffeln mit Fleisch, die Philippinos nur Reis als Beilage, der Kapitän weder Kartoffeln noch Reis, etc., etc... Und dazwischen fungiert der Steward der uns mit Charme verwöhnt. Martin (CH) und Reinhard (D) waren unsere Mitreisenden mit ihnen konnten wir viele interessante und lustige Momente und hie und da einen "Sundowner" teilen.

Land in Sicht   Sobald Land, bzw. ein Hafen in Sichtweite kommt, ändert sich das ganze Bordleben. Der Kapitän übernimmt das volle Kommando, die kurzen Hosen und das Trägerleibchen werden gegen eine Offiziersuniform mit vier goldenen Streifen eingetauscht. Dies ist das offizielle Zeichen, dass demnächst ein Lotse an Bord kommen wird. Wir geniessen jede Hafeneinfahrt und -ausfahrt von der Brücke aus und beobachten die sich wiederholenden Rituale: Lotse rein - Lotse raus, Taue rein - Taue raus, Container raus – Container rein...

Wir hatten das grosse Glück, dass alle unsere Hafengeschäfte vorwiegend während des Tages erledigt wurden, d.h. wir konnten wie auf einer richtigen Kreuzfahrt in jedem Hafen kurz an Land:

  • Antwerpen (Belgien), Kurztrip zu Fuss ins Dörfchen Stabroek um mit 54 Halbliterbüchsen Bier, etwas Schämpis und Whisky wieder an Bord zu kommen
  • Santa Domingo (Dominikanische Republik), nach 10 Tagen auf hoher See ein erster schwankender Landgang. Wir beobachten bei einem Bier die 1000 Touristen eines Kreuzfahrtschiffes und geniessen zu guter Letzt ein pollo asado in einem etwas sehr heruntergekommenen Vorort, wobei Reinhard meint (Sorry Reinhard, aber das müssen wir zitieren): "Ihr wollt hier aussteigen, ihr habt sie doch nicht alle!". Aber Reinhard nimmt den ersten Bissen, das Poulet ist sichtlich exzellent und die Leute sehr freundlich.
  • Cartagena (Kolumbien), spektakuläre Einfahrt in die Bucht von Cartagena, längeres Warten auf dem Schiff, bis die Herren der Immigration an Bord kommen und uns die ersehnten Tagespässe überreichen. Wir gehen zu Fuss Richtung Altstadt durch das gefährliche Quartier Getsemani (was wir frei in "get the money" from tourists übersetzen), wir schwitzen, weniger wegen den "gefährlichen" Kolumbianern, sondern aufgrund der tropischen Hitze. Die Altstadt ist wunderschön und nach einem kühlen Bier und einem ersten Arepa sind wir vollends glücklich.
  • Manzanillo (Panama), wir bleiben erstmals im Hafen und besuchen den Siemens Klub, der sich in Tat und Wahrheit als Seamen's Club erweist. Statt der erhofften verruchten Bar mit Glücksspielen, Fässern voll Rum, schweren Jungs und leichten Mädchen kommen wir an einen Platz mit 4 alkoholfreien Cafés, die auch dementsprechend leer sind.
  • Callao (Peru), uns wird der Plaza San Miguel empfohlen, ein riesiges Einkaufszentrum (mit Victorinox-Shop) und hungrig freuen wir uns auf ein typisch peruanischen Mittagessen. Erst als das Essen serviert wird merken wir, dass wir bei einem typischen Chinesen gelandet sind...
Ein grosses Highlight war natürlich der Panama-Kanal. Morgens um 4 Uhr weckt uns freundlicherweise Martin, da wir sonst die ersten Schleusen verpennt hätten. Taghell beleuchtet durchfahren wir, bzw. werden wir von mindestens 6 Lokomotiven durch die drei Schleusen, auf 26 Meter Höhe in den Gatunsee gelotst. Dort ankern wir und warten. Die Sonne geht auf und wir sehen uns von Urwald umgeben, ein herrlicher Anblick! Zu unserem Glück fahren wir nach dem Mittagessen los, denn die Fahrt dauert mindestens 6 Stunden. Wir sind mit dem Feldstecher vorne am Bug und beobachten intensiv alles was um uns herum kräucht und fläucht und sind von der reichhaltigen tropischen Pflanzenwelt begeistert. Wir sehen eine Schildkröte, Krokodile, Affen und natürlich wieder viele Vögel. Mit dem Sonnenuntergang geht es auch wieder in die Schleusen, runter zum Pazifik. Diesen grossartigen Tag beenden wir mit einem Glas (politisch korrekt: einer Flasche) Champagner auf unserem "Balkon" (4. Deck).

Nach 27 "kurzen" Tagen auf der Cap Vilano sind wir in Valparaiso (Chile) angekommen. Nun müssen wir uns dem Landleben stellen und freuen uns auf unsere wiedergewonnene Selbstständigkeit...
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